Alles online?

Ein Deutschsprachkurs im Home-Schooling

Wie läuft ein Sprachkurs in Zeiten von Kontaktbeschränkungen? Was kann Online-Unterricht im Gegensatz zu Präsenzunterricht leisten und umgekehrt? Koordinatorin und Deutschlehrerin Christine Borchers vom Paritätischen Bildungswerk Bremen erzählt von ihren Erfahrungen.

Deutschlehrerin Christine Borchers erzählt im Interview von ihren Erfahrungen im Online-Unterricht während der Corona-Krise
Christine Borchers unterrichtet “Deutsch für pädagogische Fachkräfte” am PBW.

 

Kontakt

Paritätisches Bildungswerk Bremen

Christine Borchers
Projektkoordinatorin

Telefon: 0421-17472-58
E-Mail: cborchers@pbwbremen.de

Bahnhofsplatz 14
28195 Bremen

www.pbwbremen.de

 


 

Zum Sprachkurs “Deutsch für pädagogische Fachkräfte”

Download: Flyer „Deutsch für pädagogische Fachkräfte B2“

 

Bitte stelle dich und den Kurs, den du unterrichtest, kurz vor.

Mein Name ist Christine Borchers, ich unterrichte Deutsch für Pädagog*innen aus dem Ausland mit dem Zielsprachniveau Deutsch B2. Unser Sprachkurs, mit dem wir von heute auf morgen durch die Corona-bedingten Schulschließungen komplett in den Online-Unterricht wechseln mussten, lief von November 2019 bis Anfang Mai 2020.

Im Mai ist ein neuer Kurs gestartet, da gibt es zurzeit einmal pro Woche Präsenzunterricht und zweimal digitalen Unterricht. Und es gibt eine zusätzliche Selbstlernzeit von drei Unterrichtseinheiten.

Hattet ihr bereits vor den Schulschließungen durch Corona Erfahrungen mit Online-Unterricht in den Deutschsprachkursen?

Ja, wir haben schon vor der Corona-Krise Online-Unterricht erprobt, das war in den letzten beiden Kursdurchläufen. Wir haben damit seit knapp einem Jahr über die Lernplattform itslearning angefangen.

Allerdings war das eine ganz andere Form des E-Learnings, als es sich jetzt darstellt: Wir haben vor allem Hintergrundmaterialien, Filme, Musikbeiträge und Selbstlerneinheiten online gestellt und Hausaufgaben und schriftliche Aufgaben darüber abgefragt. Auch dem Konzept des Flipped Classrooms hatten wir uns genähert: Also zum Beispiel haben wir die Teilnehmenden die Einführung in ein Grammatikthema mittels Materialien und Lernfilmen von zu Hause aus vorbereiten lassen und dann im Präsenzunterricht eher die vertiefenden Übungen dazu gemacht.

Jetzt, im kompletten, bzw. hauptsächlichen Online-Unterricht, ist unsere Herausforderung, auch Gruppenarbeit, Partnerarbeit und Lehrvorträge darin abzubilden. Das ist schon etwas sehr anderes und wir lernen jeden Tag etwas Neues – also sowohl wir Lehrkräfte als auch die Teilnehmenden.

Welche Tools nutzt ihr zum Unterrichten?

Wir haben das Lernmanagementtool itslearning im Haus und planen und organisieren dort den Unterricht. Das kann schon recht viel, aber es gibt weitere Tools, die Gruppenarbeit oder Projektarbeit vereinfachen. Ich nutze für Videokonferenzen Zoom, weil sie von den Teilnehmenden relativ barrierefrei genutzt werden kann. Für Gruppenarbeit oder Wissensübersichten nutze ich häufig das Padlet, eine digitale Pinnwand. Dort können Teilnehmende eigene Bilder, Videos und Textbeiträge posten. Das ist gerade für Ergebnisse von Gruppenarbeiten eine tolle Möglichkeit. Außerdem lasse ich den Kurs an gemeinsamen Texten gerne in unserem Etherpad arbeiten, mache manchmal Themenfindung oder Feedback mit dem Mentimeter. Für Grammatikthemen habe ich Erklärfilme mit Mysimpleshow erstellt.

Aber grundlegend für den Unterricht sind itslearning mit dem Chat, die Videokonferenz mit Zoom und das Padlet. Damit gestalte ich den Großteil meines Unterrichts.

Wie läuft so eine Online-Unterrichtsstunde ab?

Ich beginne meistens mit einem auflockernden Einstieg – augenblicklich zur aktuellen Situation im pädagogischen Bereich – also Inputs zu Themen wie Notbetreuung, Alleinerziehende im Homeoffice, kindgerechte Betreuung versus Abstandsregeln und Arbeitnehmerschutz oder ähnliches. Zur Corona-Hochzeit war das zum Beispiel ein kurzer Filmbeitrag zu Alleinerziehenden im Homeoffice oder ein Interview mit einer Expertin für Frühpädagogik, die eine Ausweitung der Betreuung fordert. Wir hatten im letzten Kurs Teilnehmende, die von Anfang an in der Notbetreuung gearbeitet haben. Das haben wir sehr anregende Diskussionen über das Spannungsfeld von Kinderrechten und Schutz von Arbeitnehmer*innen geführt.


Screenshot der Lernplattform "Itslearning"
Die Lernplattform itslearning ist die Basis des Online-Sprachkurses “Deutsch für pädagogische Fachkräfte”.

Auch jetzt ist es an den Tagen mit Digitalunterricht so, dass ich in unserem Kurs in der Lernplattform itslearning einen Chat habe, wo wir uns begrüßen und ich einen ersten Input zur Verfügung stelle. Dann treffen wir uns zur Diskussion im Videochat.

Ich erkläre dann im Videochat die nächsten Schritte und stelle verschiedene Aufgaben. Dann kommt es darauf an, was wir uns vornehmen, zum Beispiel

  • Grammatikthemen kommen ohne den einführenden Lehrervortrag aus, die Teilnehmenden erlernen Regeln mit Hilfe von Lernfilmen oder Erklärungen, die wir online zur Verfügung stellen, und vertiefen das mit Übungen. Wenn dann noch Fragen offen sind, klären sie die direkt mit uns.
  • Auch Textarbeit und Leseverstehen machen wir jetzt anders. Dazu lasse ich eine Seite laufen – hierfür nutze ich gerne das Padlet, wo die Teilnehmenden unbekannte Worte einfügen können, und ihre Kolleg*innen können die dann erklären. Gerade haben wir den Lernwortschatz des zweiten Kapitels unseres Lehrwerks zusammen erarbeitet. Ich habe die Wörter im Padlet eingetragen und die Teilnehmenden haben in ihrer Selbstlernzeit Erklärungen, Beispielsätze, Synonyme oder Bilder hinzugefügt. Sie konnten ihre Kreativität austoben und durch die vielen unterschiedlichen Erklärungen ihrer Kolleg*innen weitere Zugänge zu dem unbekannten Wortschatz finden. Meine Rolle in dem Prozess war, nur zu überprüfen, ob Erklärungen fehlen oder es irreführende Erklärungen gibt. Das klappt prima – und eignet sich auch gut zur Binnendifferenzierung: Schnellere Lernende erklären einfach mehr Wörter oder finden komplexere Beispielsätze – langsamere profitieren von den Erklärungen der anderen.
  • Partnerarbeit läuft über das Telefon – die Teilnehmenden haben im Kurs ihre Nummern ausgetauscht und machen Partnerarbeit. Vereinzelt biete ich auch Videokonferenzräume für Gruppen an, wenn ich das Gefühl habe, die brauchen mein Feedback. Mündliche Gruppenarbeit ist aber kompliziert, weil einige Teilnehmende es noch nicht verlässlich schaffen, sich selbst in Videochats zu versammeln.
  • Schriftliche Gruppenarbeit funktioniert gut, also gemeinsame Textarbeit, zum Beispiel für das schriftliche Vorentlasten eines Dialogs für ein Konfliktgespräch mit Eltern. Da bietet itslearning Möglichkeiten der Gruppenarbeit mit gemeinsamer Textarbeit und Gruppenchat. Wir nutzen aber auch häufig Etherpads, wo gemeinsame Textarbeit mit einem begleitenden Chat sehr einfach über einen Link funktioniert.
  • Für schriftliche Einzelaufgaben setze ich einen zeitlichen Rahmen und die Teilnehmenden dürfen die Aufgaben auch später vertiefen und mir dann abgeben. Manche sind durch Kinderbetreuung zwischendurch abgelenkt und können zum Beispiel einen Elternbrief in den Abendstunden konzentrierter schreiben.

Ich beende den Unterricht meistens mit einer zweiten Videokonferenz. Der Videochat zu Beginn und Ende ist mir wichtig, weil wir uns da alle einmal sehen und austauschen können.


Das Padlet, eine digitale Pinnwand, ist ein nützliches Online-Tool um Wortschatzübungen online durchzuführen.
Hilfreich bei Wortschatzübungen: das Padlet

Wie ist der Unterschied im Ablauf zum Präsenzunterricht?

Es gibt sehr viel, was anders ist. Im Online-Unterricht sind Einzelarbeit und Projektarbeit einfacher, weil wir zeitlich weniger gebunden sind und weil die Recherchemöglichkeiten zu Hause am internetfähigen Rechner unendlich sind.

Gerade die Möglichkeiten des eigenverantwortlichen Arbeitens und der kreativen Lösungswege sind super. Die Teilnehmenden können zu Themen kleine Online-Vorträge verfassen, sie mit Bildern und Videos versehen und so einfacher eigene Unterrichtsinhalte erstellen. Das funktioniert sogar spontan: Eine Teilnehmerin hat uns mitten im Unterricht einen interessanten Film zur aktuellen Notbetreuung vorgestellt und mit uns über den Chat geteilt. Eine andere Teilnehmerin schickte häufig Bilder im Chat, die einen Fachbegriff, den wir gerade geklärt haben, perfekt illustriert. Das hat Fachbegriffe manchmal deutlicher gemacht als meine Erklärungen.

Auch Binnendifferenzierung funktioniert online gut. Schnellere trinken einen Kaffee mehr oder suchen sich eine Aufgabe aus unserem Zusatz-Online-Angebot aus. Langsameren kann man gut individuelle Angebote zum Lernen und Wiederholen anbieten.

Schwerer finde ich Beziehungsarbeit – für Stillere und Schüchterne ist der Online-Unterricht, das Sprechen vor einer Kamera eine herausfordernde Situation. Und: Einige Teilnehmende haben größere Probleme, mit den neuen Arbeitsmitteln zurechtzukommen, das ist ein größeres Problem als im Präsenzunterreicht.

Und ich vermisse die gemeinsame Bewegung im Unterrichtsraum: Wir haben vorher viel gesungen und uns gegenseitig Bewegungslieder beigebracht, das kann ich in den Videokonferenzen in dieser Lebendigkeit nicht mehr abbilden. Und es wird weniger gelacht als vorher.

Was kann Online-Unterricht im Vergleich zu Präsenzunterricht besser leisten?

Viel besser geht die Betreuung schriftlicher Arbeiten. Ich kann einzelnen Teilnehmenden in itslearning schnelles Feedback geben, sie können Rückfragen stellen und ich kann dann erneut schnell antworten. Wir kommen insgesamt besser in eine Zweiersituation, in der wir die Korrekturen und Vorschläge, was nochmal vertieft werden könnte, viel besser besprechen können.

Insgesamt kann es aber leicht zu einer Überbetonung des Schriftlichen kommen – und da sind wir auch bei dem, was zu kurz kommt oder in jedem Fall mühseliger ist: spielerische Gruppenaktivitäten, entspannte Gesprächssituationen, auch humorvolle Situationen. Mündlichkeit ist allgemein aufwändig herzustellen. Für uns sind ganz konkret die vielen Rollenspiel und Szenarien in unserem Unterricht schwieriger in der Umsetzung geworden.

Gibt es etwas, das ihr im Online-Unterricht absolut nicht abdecken könnt?

Unser Unterricht lebt eigentlich von vielen Rollenspielen und Szenarien, um möglichst breit berufssprachliche Situation sehr realitätsnah einzuüben. Das ist deutlich schwieriger geworden. Die Teilnehmenden telefonieren miteinander und machen vereinzelt auch selbstorganisiert Videokonferenzen, um so mündliche Handlungen einzuüben. Wir haben auch Videokonferenzen angeboten, in denen wir uns einen Eindruck über diese Handlungen machen können und Feedback geben können. Aber es ist weniger lebensnah als vorher und in der Videosituation sind einzelne Teilnehmende auch gehemmter als im echten Leben. Und diese Hemmungen lassen sich auch weniger leicht auffangen also zuvor.

Und ein mehrschrittiges Szenario, in dem es auch um aufeinander folgende Handlungen in der Kita geht, also auch Gestik, Mimik, das Bewegen im Raum, vielleicht auch mal das Anbieten eines Getränks eine Rolle spielt, die können wir nur noch ziemlich künstlich durchführen. Darum haben wir hier Änderungen vorgenommen und üben eher einzelne Rollenspiele ein. Dadurch, dass wir mittlerweile wieder einen Tag Präsenzunterricht in der Woche haben, verschieben wir Rollenspiel und Szenarien häufig in die Präsenzzeit.

Könnt ihr mit dem Online-Unterricht allen Bedarfen der Teilnehmenden gerecht werden?

Wie gut digitales Arbeiten gelingt, hat auch mit der Lernpersönlichkeit zu tun – und auch mit der Lebenssituation der Teilnehmenden. Ich habe Teilnehmende, die hervorragend einzeln lernen können und die auch von den Videokonferenzen profitieren, weil sie dort sprechen. Andere fallen möglicherweise stärker zurück, als sie es im Präsenzunterricht getan hätten.

Welche weiteren Nachteile könnte die Online-Situation für die Teilnehmenden bedeuten?

Es gibt Teilnehmende, für die die Technik eine deutlich größere Hürde ist als für andere. Sie haben kein wirklich gut funktionierendes Internet, sie können Lesetexte, die wir online stellen, nicht ausdrucken und versuchen den dann im kleinen Handybildschirm zu lesen. Das ist natürlich gerade beim Sprachenlernen ein Problem – die Lesetexte können also nicht in der bisher bekannten Form bearbeitet werde. Solche Einschränkungen müssen wir Lehrkräfte mitbedenken in der Unterrichtsgestaltung. Und daran denken: Viele sind – zusätzlich zum Sprachelernen – mit dem Erlernen digitaler Tools beschäftigt.

Und es gibt auch Lehrkräfte, für die das so ist. Darunter leidet dann natürlich die Qualität des Online-Unterrichts – weil viele eine neue Didaktik erlernen müssen.

Aber es gibt auch Vorteile. Ich habe zum Beispiel Teilnehmende, für die die Vereinbarkeit von Präsenzunterricht und Kinderbetreuung sehr schwer ist. Eine andere Teilnehmerin ist nicht ganz gesund und hat in der Vergangenheit häufig gefehlt. Gerade diese sind nun die ganze Zeit präsent, etwas, das mich positiv überrascht hat. Außerdem können sie sich Aufgaben freier einteilen als vorher – und geben sie auch verlässlicher ab.

Und wie sieht es mit den Prüfungen aus?

Die haben uns zunächst vor Probleme gestellt, denn die Prüfungen unseres letzten Deutschkurses waren Anfang Mai und wir durften keine Präsenzprüfung abhalten. Wir haben die Prüfung angepasst und sie tatsächlich komplett digital abgehalten: im Videochat für den mündlichen Teil und in der Lernplattform für den schriftlichen. Das war eine ungewohnte Situation für die Teilnehmenden und uns, die wir aber alle gut gemeistert haben. Wir hoffen trotzdem, dass wir im aktuellen Kurs bei den Prüfungen im Oktober wieder Präsenzprüfungen abhalten können – und auch die Vorbereitung gemeinsam im Präsenzunterricht stattfinden kann. Es ist für die Prüfungssituation für alle Beteiligten angenehmer, sich tatsächlich gegenüber zu sitzen. Wir können auf Aufregung von Teilnehmenden besser reagieren und es gibt keine Sorge vor technischen Ausfällen.

Was ist noch ausbaufähig im Online-Unterricht? Hast du Tipps oder Ideen?

Zukünftig können Teilnehmende viel mehr Unterrichtsbeiträge selbst erstellen und teilen und dabei ihre ganze Kreativität ausleben. Sie könnten zum Beispiel selbst Erklärfilme für ihre Kolleg*innen erstellen, sie könnten selbst Arbeitsmaterialien entwerfen, um sich einem Thema zu nähern und es für andere aufbereiten. Wir haben diese Möglichkeiten noch nicht so viel genutzt, das soll im kommenden Kurs weitergedacht werden.

Wir Lehrkräfte könnten noch stärker Erklärfilme für Selbstlerneinheiten einsetzen, vielleicht auch produzieren. Die sind auch dann noch hilfreich, wenn der Unterricht nicht mehr ausschließlich digital stattfinden wird. Mit Erklärfilmen und gutem Material kann das Prinzip des Flipped Classrooms umgesetzt werden: Dann kann der Unterricht im Klassenraum weniger der Ort sein, an dem Grundlagen präsentiert werden. Stattdessen wird im Unterricht das zuvor online selbstständig Erlernte breit angewendet, Verständnis gesichert und erweitert.