Mehr als nur ein Flugticket

Ein Bremer Krankenhaus tritt dem Pflegenotstand entgegen

Die Formel scheint einfach: Anwerben, anstellen und los geht es. Was für eine gelungene berufliche Integration alles zu beachten ist, wird häufig nicht mitgedacht. Die GeNo sucht sich für die erfolgreiche Eingliederung internationaler Fachkräfte Unterstützung im IQ Netzwerk Bremen. Ein Modellprojekt.

In Deutschland herrscht Pflegenotstand, in Mexiko können nicht alle ausgebildeten Pflegefachkräfte in ihrem erlernten Beruf beschäftigt werden. Mit beschleunigten Visavergaben und Anerkennungsverfahren sollen mexikanische Pflegekräfte einfacher in Deutschland einwandern und arbeiten können.

Von dem Abkommen der Bundesregierung mit Mexiko profitiert auch die Bremer Krankenhausgruppe GeNo – Gesundheit Nord. Die GeNo stand bereits vor dem Abkommen in Kontakt mit der ZAV, um Pfleger*innen aus Mexiko von der Arbeit in Bremen zu überzeugen. Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat sich der Prozess deutlich beschleunigt: 

Der kommunale Träger mit seinen knapp 8.200 Beschäftigten erwartet zum Jahresanfang 2021 Verstärkung aus Mexiko. „Auch wir haben mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen“, erzählt Projektbeauftragte Tatjana Bechthold, die für Auslandsrekrutierungen zuständig ist. Für die Anwerbung internationaler Fachkräfte durch die Krankenhausgruppe wurde sie extra eingestellt.

Ohne Visum geht es nicht

Etwa 15 Flugstunden liegen zwischen Mexiko und Bremen. Im Gepäck haben müssen die 21 Pflegekräfte, die aus Mexiko Stadt und dem nördlichen Monterrey kommen, ihr Deutsch-B1-Zertifikat. Das Zertifikat ist Voraussetzung für die Einreise. Ohne gibt es kein Visum.

Was die Neu-Bremer*innen sonst noch einpacken sollten und was sie vor Ort vorfinden werden, klären sie mit Tatjana Bechthold: Die Projektbeauftragte kümmert sich um alles. Sie recherchiert Versicherungen, organisiert Geschirr und Bettwäsche, kümmert sich um die sozialen Bedarfe – die Anwerbung und Integration internationaler Fachkräfte bedeutet weit mehr, als nur ein Flugticket nach Deutschland zu buchen.

Ganzheitliche Prozessbegleitung vom Anfang bis zum Ende

Um den Start und den Eingliederungsprozess zu optimieren, bekommt die GeNo Unterstützung vom IQ Netzwerk Bremen. Mit im Boot: die Interkulturelle Organisationsberatung, der Willkommensservice und Welcome to Bremen-NetWork. Die drei Projekte bieten der GeNo Beratung und qualifizierte Leitstrukturen.

Strippenzieherin im Modellprojekt ist Birte Rabiega. Sie ist Mitarbeiterin der Interkulturellen Organisationsberatung: „Wir machen Prozessbegleitung, sprechen Empfehlungen aus, was alles mitgedacht werden sollte. Wir sehen uns den Gesamtprozess an und schauen, wo wir unterstützen können.“ Dazu gehört auch die Vermittlung von Kontakten: „Wir sind Teil vieler Bremer Netzwerke. Diese Kontakte vermitteln wir bei Bedarf. Und wir nutzen unsere Anlaufstellen, um Wege kurz und Formalitäten flach zu halten.“

Manuel Kühn, Leiter des Willkommensservice Bremen mit der Regionalen Koordinationsstelle Fachkräfteeinwanderung, unterstützt Neu-Bremer*innen beim Start ins Arbeitsleben, begleitet Unternehmen, die internationales Personal einstellen möchten, weist auf Leerstellen im Eingliederungsprozess hin und bietet Lösungsmöglichkeiten.

Welcome to Bremen – NetWork, kurz WTB, betreibt die Webseite www.welcometobremen.de. Die Website bietet zugewanderten Menschen umfassende Informationen für den Neustart an der Weser.

ZAV vorher – IQ nachher

Die Formalitäten rund um die Anwerbung regelt die GeNo mit der ZAV. „Das Bewerbungsverfahren verläuft eigentlich wie bei allen Fachkräften. Die Sprache ist anders und wir gleichen die Ausbildungsinhalte mehr ab“, erzählt Bechthold. Auswahlvoraussetzungen sind ein Universitätsabschluss und zwei Jahre Berufserfahrung.

Um die Anwerbung zu beschleunigen, verzichtet die GeNo auf die Gleichwertigkeitsprüfung. Stattdessen setzt sie auf die Kenntnisprüfung mit Anerkennungslehrgang. Bis die Mexikaner*innen den B2-Kurs bestanden und den Lehrgang abgeschlossen haben, um als Pflegefachkräfte zu arbeiten, sind sie als Pflegehelfer*innen beschäftigt.

Alles, was nicht zu den Bewerbungsformalitäten gehört, aber zu einer ganzheitlichen Integration zählt, erledigt Bechthold mit Unterstützung von IQ. Alle zwei Wochen treffen sie sich zum intensiven Austausch. „Zuerst haben wir uns die genannten Bedarfe und Abläufe der GeNo genau angehört“, erinnert sich Birte Rabiega, „die GeNo gibt uns immer den Zwischenstand des jeweiligen Arbeitspaketes durch. Wir sortieren das und schauen, wo wir unterstützen können.“

Bechthold steht in regelmäßigem Austausch mit den mexikanischen Pfleger*innen. Die Fragen der neuen Kolleg*innen trägt sie in die IQ-Meetings. „Es geht viel um den Familiennachzug. Aber auch um das Wetter. Sie möchten wissen, ob es Klimaanlagen gibt oder alle Wohnungen eine Heizung haben. Oder ob man in Deutschland eine Lizenz zum Fahrradfahren benötigt.“

Ein Leitfaden bringt Licht ins Dunkel

Entstanden ist ein Leitfaden, der alle Arbeitspakete und Fragen rund um die Themen Ankommen, Wohnen, Arbeiten, Gesundheit, Alltag und Freizeit mitdenkt. Alles auf die Bedarfe der mexikanischen Pfleger*innen zugeschnitten und in einfacher Sprache verfasst. Hierfür vermittelte Rabiega ein Coaching durch die RKW Servicestelle Deutsch am Arbeitsplatz. Eine Spanischübersetzung bekommen die Pflegekräfte vorab zur Verfügung gestellt.

Den Leitfaden gibt es auf welcometobremen.de. „Durch die digitale Form können wir den Leitfaden ständig weiterentwickeln und ihn universell einsetzen“, erklärt Projektmitarbeiterin Nina Thölke von WTB. „Unser Plan ist es, den Leitfaden später auch für andere Berufsgruppen in anderen Einrichtungen zu nutzen.“

So selbstverständlich die im Leitfaden aufgegriffenen Fragen für Ansässige scheinen, so relevant sind sie für Neuankömmlinge. Wo kaufe ich ein Bahnticket? Welche Versicherungen sind wichtig? Welche Temperaturen erwarten mich in Bremen? Wie finde ich eine Wohnung?

Die Wohnungen für die neuen Kolleg*innen gibt es bereits. Bechthold hat sie vermittelt. Auf Wunsch der Mexikaner*innen werden sie gemeinsam in WGs leben. Auch die komplette Ausstattung für die Wohnungen organisiert die GeNo. Was dafür alles zu bedenken ist, bespricht sie ebenfalls in der IQ-Runde. Bettwäsche, Geschirr, auch das erste provisorische Internet – alles muss vorhanden sein, schließlich müssen die Pfleger*innen ihre Ankunft in Bremen pandemiebedingt mit einer zweiwöchigen Quarantäne starten.

Die Willkommenskultur der GeNo betreffend, zeigt sich Bechthold optimistisch. „Wir haben bereits jetzt ein sehr internationales Team bei uns beschäftigt. Auch die Patient*innen werden internationaler. Je diverser ein Team dabei aufgestellt ist, desto besser. Und alle werden weltoffener.“

Eins-zu-eins-Betreuung für Arbeit und Freizeit

Die GeNo deckt alle medizinischen Bereiche ab. Die neuen Kolleg*innen werden im ersten Jahr auf ihren Wunschstationen eingesetzt, darunter Kardiologie und innere Medizin. Pro Station gibt es eine feste Ansprechperson, die die Arbeit anleitet. Diese erhalten vorab ein interkulturelles Training. „Ich finde es wichtig, die Lebensumstände der neuen Kolleg*innen mitzudenken“, sagt Rabiega. „Sie müssen in einem fremden Land mit einer unbekannten Sprache zurechtkommen. Die Familie ist weit entfernt. Die Arbeitsbedingungen sind völlig anders. Hinzu kommt der Zeitdruck. Sie müssen innerhalb kürzester Zeit auf das B2-Sprachniveau kommen. Die neue Anstellung und Auswanderung nach Deutschland ist eine Investition in die Zukunft. Das muss gelingen. Dadurch wird ein ungeheurer Druck bei den Menschen aufgebaut. Dem musst du erstmal standhalten. In Mexiko haben Pflegekräfte mehr Verantwortung – Plötzlich dürfen sie viele Aufgaben nicht mehr ausüben. Nach einem abgeschlossenen Studium fangen sie hier in ihrem Beruf wieder bei null an. Wertschätzung ist da ganz wichtig.“

Herausfordernd für die Mitarbeitenden der GeNo sieht Rabiega den Zeitdruck: „Pflegekräfte arbeiten bereits am Limit. Nun müssen sie zusätzlich die neuen Kolleg*innen anleiten. Es braucht Geduld, sich sprachlich reduziert und genau mitzuteilen.“ Einfache Sprache benötigt mehr Worte. Das ist bei Zeitdruck schwer zu bewältigen.

Auch privat ist für eine 1:1 Betreuung gesorgt. Tatjana Bechthold ist stolz auf das Patenschaftsprojekt: „Jede neue Pflegekraft bekommt eine Person zur Seite gestellt. Um gemeinsam Bremen zu erkunden. Das Interesse im Kollegium an den Patenschaften war so groß, dass wir nicht alle einbeziehen konnten“, freut sich Bechthold.

„Ob wir etwas vergessen haben, werden wir erst sehen, wenn es soweit ist“, da ist Bechthold ehrlich. Es ist ein Modellprojekt. Ohne Optimismus gelingt es nicht. Aber Bremen ist weltoffen und sagt „Herzlich willkommen!“

 

Birte Rabiega begleitet Bremer Unternehmen bei interkulturellen Öffnungsprozessen.
Birte Rabiega begleitet Bremer Unternehmen bei interkulturellen Öffnungsprozessen.

Interkulturelle Organisationsberatung

Birte Rabiega
rabiega@rkw-bremen.de
0421/32 34 64-27

Martinistraße 68
28195 Bremen

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Willkommensservice Bremen

Manuel Kühn
manuel.kuehn@wfb-bremen.de
0421/16 33 99 47-7

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Welcome to Bremen

Das Informationsportal für zugewanderte Menschen in Bremen:

www.welcometobremen.de

 


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