Allgemeinsprachlich oder berufsspezifisch?

Prof. Dr. Claudia Harsch über die Validität einer Szenario-basierten Prüfung für internationale Lehrkräfte

Prof. Dr. Claudia Harsch ist Professorin für Sprachlehr- und -lernforschung am Fachbereich 10 der Universität Bremen, und wissenschaftliche Direktorin und Geschäftsführerin des Sprachenzentrums der Hochschulen im Land Bremen. Einer ihrer wissenschaftlichen Schwerpunkte liegt auf der validen Beurteilung von Sprachkompetenzen. Welches Potenzial sieht sie in einer alternativen Prüfungsform für internationale Lehrkräfte?

IQ Netzwerk Bremen: Im Kurs „Deutsch für Lehrkräfte aus aller Welt (C1)“ werden Szenarien aus dem Berufsalltag von Lehrkräften vorgestellt. Welche Chance bietet der berufssprachliche Unterricht nach der Szenario-Methode, also eine Kombination aus fachlichem und sprachlichem Lernen, internationalen Lehrkräften?

Prof. Dr. Claudia Harsch: Spezifischer Berufsbezug im Unterricht hat den Vorteil, die relevantesten sprachlichen Handlungen in den Fokus zu nehmen. Dadurch werden Lehrkräfte genau auf die sprachlichen Muster, Handlungen und kommunikativen Situationen vorbereitet, denen sie im Berufsalltag auch begegnen werden.

Beispielsweise gibt es in den verschiedenen Unterrichtsfächern sehr unterschiedliche Erklärungsmuster, Ansätze und Diskurse – eine Mathelehrerin erläutert ihre mathematischen Sachverhalte ganz anders als etwa eine Deutschlehrerin eine Kurzgeschichte, die von den Lernenden interpretiert werden soll.

Dazu kommt, dass der schulische Alltag eigene Herausforderungen stellt, die sich von den gewohnten Abläufen teils stark unterscheiden können. Elterngespräche, Umgang mit Störungen im Unterricht – all das hat seine spezifischen kommunikativen Abläufe, die gelernt werden wollen.

Um den unterschiedlichen Situationen, Anforderungen und Kontexten gerecht zu werden, ist es am effektivsten, den Unterricht und auch die Prüfungen sehr spezifisch auf die relevantesten Situationen und die dazu nötigen Redemittel und Kommunikationsmuster auszurichten.

Damit wird es internationalen Lehrenden ermöglicht, ihr Wissen mit einzubringen und es kommunikativ handelnd in der deutschen Sprache umzusetzen und anzuwenden.

Internationale Lehrkräfte, die an deutschen Schulen unterrichten wollen, müssen aktuell eine standardisierte, allgemeinsprachliche C2-Deutsch-Prüfung (GER) bestehen. Welchen Wert haben standardisierte Prüfungen, wenn wir es mit einer kleinen Gruppe wie internationalen Lehrkräften zu tun haben?

Standardisierte Prüfungen zur Erfassung der allgemeinen Sprachkompetenz sind per Definition nicht auf einen spezifischen Kontext hin ausgerichtet – sie sollen eine generelle Aussagekraft für möglichst viele Kontexte haben.

Wenn aber das zukünftige Tätigkeitsfeld spezifisch umrissen werden kann, und wenn es dazu eine spezifische berufsbezogene sprachliche Ausbildung gibt, dann wäre es ideal, wenn es dazu auch eine spezifische Prüfung gäbe: Ich habe dann ein viel aussagekräftigeres Ergebnis als bei einer allgemeinsprachlichen C2-Prüfung. Eine auf den internationalen Kontext hin standardisierte allgemeinsprachliche Prüfung kann gar nicht an die Kompetenzen, die im fachsprachlichen Unterricht vermittelt werden, herankommen und die spezifischen Kontexte, die unsere Lehrkräfte meistern müssen, abdecken.

Welche Vorteile hätte eine alternative, halbstandardisierte Sprachprüfung gegenüber der allgemeinsprachlichen C2-Prüfung wie dem Goethe-Zertifikat?

Bei Prüfungen mit direktem Bezug zum Berufsalltag sind Tests wie die aktuell erprobten Prüfungen nach dem Szenario-Ansatz das aussagekräftigste Instrument! Sie erfassen die zukünftigen sprachlichen Anforderungen valide und erlauben somit eine Aussage, inwieweit die Kandidat*innen auf den jeweiligen Kontext vorbereitet sind.

Mit den berufsspezifischen Szenarien können die Kompetenzen der Lehrkräfte ganz genau geprüft werden: Sind die Lehrkräfte darauf vorbereitet, ein Elterngespräch zu führen, ein Konfliktgespräch mit Kolleg*innen zu halten? Sind sie sprachlich darauf vorbereitet, im fachspezifischen Unterricht bestimmte Inhalte darzustellen und zu erklären?

Ein generelles Sprachzertifikat kann diese spezifischen Anforderungen des Unterrichts und Schulalltags gar nicht erfassen.

Je spezifischer die Testausschnitte auf die Situation ausgerichtet sind, zu der ich testen möchte, desto besser sehe ich, ob die Proband*innen auf die jeweilige Situation vorbereitet sind und desto valider wird die Prüfung für mich, denn sie deckt sprachlich-kommunikativ genau das ab, was die Lehrkräfte später leisten müssen.

Dieser inhaltlichen und kommunikativen Validität würde ich im vorliegenden Kontext den Vorrang geben vor einer Standardisierung und statistischen Erprobung. Denn hier wissen wir, dass die Inhalte und kommunikativen Handlungen und Kompetenzen, die wir brauchen, in der Prüfung abgedeckt werden.

Welche Ansprüche sollte die Prüfung erfüllen, um als valide anerkannt zu werden?

Es sollte transparent dargelegt werden, welche Inhalte, Situationen und sprachlich-kommunikative Fertigkeiten die Prüfung in welcher Form abdeckt, und nach welchem Schema die Prüfung abläuft. Wird jeweils eine bestimmte Anzahl an Szenarien, die aber nicht vorhersehbar sind, in die Prüfung eingebracht, dann haben wir eine Halbstandardisierung – die Beteiligten wissen, aus einem Pool von Szenarien kommen zwei oder drei in der Prüfung dran – etwa eins aus dem Unterrichtsgeschehen und eines aus dem Schulalltag. Somit durchlaufen die zu prüfenden Lehrkräfte immer dieselbe Prüfungsform. Damit erlangt die Szenario-Prüfung eine gewisse Standardisierung.

Gleichzeitig haben wir den Vorteil, dass die Prüfung inhaltlich und sprachlich-kommunikativ genau auf den späteren Unterrichtskontext, also auf die Fächer, die die jeweilige Lehrkraft unterrichtet, angepasst werden kann. Die Prüfung verfügt somit über eine Flexibilisierung und ist abgestimmt auf die Kompetenzen, die die Lehrkräfte mitbringen sollen.

So bringt die Prüfung eine Fairness und Transparenz für die internationalen Lehrkräfte und die Prüfenden können genau berichten, über welche Kompetenzen die Lehrkräfte verfügen.

Kann die Prüfung nach dem Szenario-Ansatz zeigen, dass internationale Lehrkräfte dem Anspruch an die Sprachkompetenz Deutsch C2 gerecht werden?

Hier kann man das C2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) heranziehen und analysieren, welche Deskriptoren zu den verschiedenen sprachlich-kommunikativen Bereichen es dort gibt, die relevant für den Kontext sind, und damit näher spezifizieren, was genau die Zielgruppe auf C2-Niveau in welchen Bereichen können sollte. Es lässt sich dann auch nachprüfen, was davon im Unterricht umgesetzt wurde: Welche Texte werden im Unterricht z.B., wenn es um Leseverstehen geht, erarbeitet? Oder welche sprachlichen Mittel lernen die Lehrkräfte, wenn es um die Bewältigung von Konflikten geht? Welche Konfliktbewältigungskompetenzen vermittelt der Kurs und wo docken diese an C2 an?

Es lässt sich sehr transparent im Curriculum und im Unterrichtsgeschehen dokumentieren, was davon dem C2-Niveau entspricht. Auch zur Bewertung der kommunikativen Kompetenzen lässt sich der GER heranziehen und dort lassen sich aus C2 diejenigen Deskriptoren herausziehen, die man auch überprüfen möchte. Und die kann man dann soweit spezifizieren, also auf den spezifischen Kontext hin ausrichten, dass man als prüfende Person sehen kann: Verfügt die Lehrkraft über diese Kompetenzen?

Und damit lässt sich sehr transparent zeigen: Ja, diese C2-Kompetenzen sind vorhanden, auch wenn solche eine Szenarien-Prüfung nicht alle möglichen Szenarien abdecken kann.

Das gilt jedoch für alle Tests: Auch bei allgemeinsprachlichen Sprachstandserhebungen ist jeder Test immer nur ein Ausschnitt der möglichen Bandbreite kommunikativer Kompetenz. Es lässt sich nie alles testen.

Aber je spezifischer die Testausschnitte auf die Situation ausgerichtet sind, zu der getestet werden soll, desto valider wird die Prüfung: Denn ich sehe, inwieweit meine Proband*innen auf die Situation vorbereitet sind.

Welche Akteur*innen sollten zusammenwirken, um eine passgenaue, qualitativ hochwertige Prüfung für internationale Lehrkräfte durchzuführen?

Ideal wäre es, wenn dazu Inhaltsexpert*innen – etwa Seminarleitende und Prüfende am LIS, die die Unterrichtsfächer repräsentieren – mit Sprachexpert*innen, also Lehrkräften oder Sprachprüfer*innen, zusammenwirken könnten, um sowohl die relevanten kommunikativen Handlungen des jeweiligen Unterrichtsfachs als auch die sprachrelevanten Aspekte abdecken zu können.

Dadurch, dass beide Seiten gemeinsam zu einem Bewertungsergebnis kommen, wird die Validität und Reliabilität dieser Prüfung nochmals erhöht – beide Perspektiven zusammen können am besten einschätzen, wie gut die Lehrkraft auf den schulischen Alltag vorbereitet ist.

Liebe Frau Prof. Harsch, besten Dank für das Gespräch!

 

Prof. Dr. Claudia Harsch ist Professorin für Sprachlehr- und -lernforschung am Fachbereich 10 der Universität Bremen.  (c) Matej Meza, Universität Bremen

 

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28195 Bremen

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Lernen mit Szenarien eine internationale Lehrerin über ihren Berufseinstieg in den deutschen Schulbetrieb:

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