„Sehr situationsgerecht und praxisnah“ – Lernen nach der Szenario-Methode

Internationale Lehrkräfte, die an Bremer Schulen unterrichten möchten, sind bei ihr genau richtig: Ruth Beckmann ist Hauptseminarleiterin am Landesinstitut für Schule Bremen (LIS). Vom Erstgespräch bis zur Aufnahme in den Schuldienst begleitet sie Lehrer*innen während ihres berufspraktischen Anpassungslehrgangs.

IQ Netzwerk Bremen: Frau Beckmann, welchen Eindruck haben Sie von internationalen Lehrkräften, die in Bremen wieder in der Schule tätig werden möchten?

Ruth Beckmann: Das sind allesamt sehr interessante Persönlichkeiten, die völlig verschiedene Erfahrungen mitbringen, sowohl durch die Ausbildung in den Heimatländern wie auch meist durch jahrelange Erfahrungen im Unterricht in Deutschland, die sie über die Stadtteilschule oder in privaten Instituten gewonnen haben. Die Kenntnisse über die Schulsysteme in anderen Ländern erweitern auch unseren Horizont hier vor Ort in Bremen.

Schon die Erstgespräche sind spannend. Ich freue mich immer, Näheres über die Hintergründe zu erfahren. Die Menschen kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern und von unterschiedlichen Kontinenten: Wir haben Teilnehmende aus Asien, Afrika, Südamerika, Europa – nur Australien war bisher noch nicht dabei.

Alle eint das hohe Interesse daran, die eigene Ausbildung zum Abschluss zu bringen und eine berufliche Anerkennung zu bekommen – ein ganz starkes Bestreben, sich auf alles einzulassen und die Herausforderung anzunehmen, ihre berufliche Anerkennung endlich rund zu machen.

Das LIS bietet Anpassungsmaßnahmen für internationale Lehrkräfte im Anerkennungsverfahren an. Vor welchen Herausforderungen stehen die internationalen Lehrkräfte im Schulalltag und in der Anpassungsmaßnahme?

Teilnehmer*innen der Anpassungsmaßnahme sind für die Schulen im Moment noch relativ neu. Nicht alle Bremer Schulen kennen diese Ausbildungsmöglichkeit. Manche Teilnehmenden müssen in den Kollegien erklären, wer sie sind und was ihr Ziel ist. Denn sie sind keine Referendar*innen, sondern Lehrkräfte mit ausländischer Berufserfahrung, die die Maßnahme durchlaufen, um die Anerkennung und Gleichstellung ihrer Ausbildung zu erhalten.

Die didaktischen und erzieherischen Konzepte der Herkunftsländer unterscheiden sich oft von denen in Deutschland. Manchmal mehr, manchmal weniger. Insofern müssen sich die „Anpasser*innen“ meist mit einem ganz anderen Unterricht auseinandersetzen, als sie in ihrer Ausbildung kennengelernt haben. Wenn in manchen Ländern z.B. stärker auf Reproduktion des Gelernten gesetzt wird, so möchten wir im Landesinstitut für Schule die Schüler*innen in Deutschland befähigen, neben Fachkompetenzen auch Orientierungswissen und Problemlösefähigkeiten zu erwerben.

Nicht jede internationale Lehrkraft ist es gewohnt, Schüler*innen dabei zu begleiten, politische und soziale Verantwortung zu übernehmen und kritische Solidarität zu üben. Oder sich für Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen oder bewusst mit Natur und Umwelt umzugehen. Das steht im Bremer Schulgesetz und das sind natürlich Dinge, die auch unsere Haltung ganz stark prägen.

Bei Herausforderungen im Unterricht denke ich an einen Bericht einer berufspraktischen Anpasserin aus dem Iran. Sie hat sich in ihrem Biologie-Unterricht sehr mutig mit dem anstehenden Thema Sexualkunde beschäftigt und eine ganz andere Haltung erlebt, als sie sie aus ihrem Herkunftsland mitbrachte.

Manche Begriffe, mit denen wir völlig selbstverständlich umgehen, flogen ihr buchstäblich um die Ohren. Die Schüler*innen fragten ihr Löcher in den Bauch, wie das Thema im Iran behandelt wird. Hier keine roten Ohren zu bekommen, bei der Wahrheit zu bleiben, sich aber auch den Fragen der Klasse zu stellen, gleichzeitig das eigene Gefühl von Würde damit nicht zu verlieren, also authentisch zu bleiben, ist eine besondere, herausragende Leistung.

Aber es findet immer auch ein Gewinn auf beiden Seiten statt. Die Schüler*innen nehmen verschiedene Perspektiven wahr und erleben, dass Schule ein Ort gemeinsamen Lernens ist.

Im Kurs „Deutsch für Lehrkräfte aus aller Welt (C1)“ werden Szenarien aus dem Berufsalltag von Lehrkräften vorgestellt. Inwiefern profitieren die Lernenden von den Szenarien? Was ist das Besondere an Szenarien?

Szenarien bieten sprachliche und strukturelle Hilfen für Gesprächsführung, Unterrichtssprache und Unterrichtsreflexion. Unsere ehemalige Kollegin Agnes Christ-Fiala aus dem LIS hat hierfür und in Kooperation mit dem IQ Netzwerk essentielle situative Momente zusammengestellt, die eine sehr konkrete Unterstützung bieten.

Da sie selbst viele Jahre in der Ausbildung tätig war, kennt sie die Situationen, denen die „Anpasser*innen“ begegnen – sowohl inhaltlich als auch sprachlich.

Nehmen wir den Lehrervortrag als Beispiel – der kommt in fast jedem Unterricht vor: Lehrer*innen halten einen kurzen Vortrag, um in ein Thema einzuführen oder etwas kurz zu erklären. Dieses methodische Mittel erfordert Präzision, eine sprachliche Angemessenheit, aber auch didaktische Kenntnisse. Das wird in den Szenarien miteinander verbunden.

Oder Konfliktlösung – unterschiedliche Kompetenzen sind notwendig, um lösungsorientiert mit Konflikten umgehen zu können: das Führen eines solchen Gesprächs einschließlich der sprachlichen Mittel, pädagogisches Fingerspitzengefühl, das Geben und Nehmen von Kritik, das Thematisieren mit weiteren Betroffene, die an einem Konflikt beteiligt sind oder das Berichten über Vorfälle. So etwas lässt sich am besten praktisch ausprobieren, indem eine Situation kreiert wird und konkrete Rollenzuteilungen erfolgen und sich daran ausprobiert wird.

In einem Unterrichtsszenario wird ein Gespräch mit einem Jugendlichen entwickelt, der sich nicht korrekt verhalten hat. Angeregt wird ein informeller Austausch mit einem Kollegen über das Verhalten des Jugendlichen, was ja häufig auch passiert, dass man auf dem Flur mit einer Kollegin darüber ins Gespräch kommt. Es folgt ein Telefonat mit der Mutter und schließlich ein Bericht an die Schulleitung. Also sehr situationsgerecht und praxisnah.

Lehrkräfte im Anerkennungsverfahren stehen häufig vor vielfältigen Belastungen: Neben dem fachlichen Lernen und der Auseinandersetzung mit einer eventuell neuen pädagogischen Haltung möchten sie ihre sprachliche Handlungsfähigkeit in vielfältigen beruflichen Situationen erweitern. Warum ist die Szenariomethode für diese Personen besonders geeignet?

Wenn die Unterrichtssprache nicht die Muttersprache ist, dann hat man bestimmte Redemittel nicht so selbstverständlich zur Verfügung. Das kennen alle, die eine Fremdsprache lernen. Ich habe einmal ein wenig Russisch gelernt – und immer, wenn ich nicht wusste, wie ich etwas ausdrücken wollte, habe ich automatisch zu den gleichen Wörtern gegriffen „Ja hatschu – ich möchte gerne, dass du …“ – und genau das lässt sich auch bei einigen der „Anpasser*innen“ beobachten.

Sagt eine Lehrkraft im Unterricht immer wieder „Ich möchte jetzt, dass ihr Aufgabe 2 bearbeitet. Ich möchte jetzt, dass jemand seine Hausaufgabe vorliest, …“, dann wird es eintönig. Die Schüler*innen werden unruhig, die Lehrkraft ist kein gutes Sprachvorbild. Und die kognitiven Fähigkeiten der Schüler*innen werden nicht genutzt, weil die Lehrkraft die Operatoren nicht verwendet wie „Erkläre die Textstelle, nimm Stellung zu der Frage, beschreibe, was du siehst.“

Die Wörter an sich sind vielleicht klar und bekannt. Aber sie so variabel im unterrichtlichen Kontext anzuwenden, erfordert Know-how und Übung im berufsbezogenen Kontext. Und die Szenarien sind konkrete berufsbezogene Trainingssituationen.

Die Szenariomethode ist natürlich fordernd für internationale Lehrkräfte. Aber es ist eine Herausforderung, die eine so praktische Hilfe anbietet, dass die Anstrengung, die in der Übung drinsteckt, gar nicht als so anstrengend wahrgenommen wird. Das hängt auch mit der spielerischen Methode zusammen.

Wie Sie bereits sagten, bringen internationale Lehrkräfte sehr unterschiedliche Rollenverständnisse, Vorerfahrungen an Unterrichtstätigkeit, didaktische Repertoires, Lerntheorien, Deutschkenntnisse und Vorkontakte mit dem Bremer Schulwesen mit. Wieso sind die nun veröffentlichten fünf Szenarien trotz der Unterschiede für alle Teilnehmenden ein Gewinn?

Trotz ihrer Vorerfahrungen müssen sich alle mit dem im bremischen Schulgesetz beschriebenen Erziehungs- und Bildungsauftrag der Landesverfassung und den gesellschaftlichen Anforderungen an die Schule auseinandersetzen.

Dazu gehört die Gestaltung des Schullebens, des Unterrichts, der Umgang mit Schüler*innen sowie Erziehungsberechtigten und die Verpflichtung zur Fortentwicklung des Schulwesens. Die Schulen sollen sich in Bremen zu inklusiven Schulen entwickeln, sie sollen Sprachbildung betreiben, die Digitalisierung voranbringen usw. – und dafür bedarf es konzertierter Anstrengungen, in die sich alle Beteiligten einbringen müssen.

Alle Vorerfahrungen müssen auf diese gemeinsamen Anstrengungen ausgerichtet und diese weiterentwickelt werden – und in den Szenarien werden essentielle Bereiche angesprochen, die sich auf genau dieses Miteinander in der Schule beziehen.

Für internationale Lehrkräfte, Ausbildner*innen und Schulen kann der Anerkennungsprozess herausfordernd sein. Lohnt sich „der ganze Aufwand“ aus Ihrer Sicht?

Ja, er lohnt sich für alle Beteiligten!

Zunächst einmal lohnt es sich für die Menschen selbst. Nach einem erfolgreich bestandenen Lehrgang können sie eine Anstellung bei der Senatorin für Bildung erhalten unter der Voraussetzung, dass es eine Stelle gibt und sie die sprachlichen Voraussetzungen erfüllen.

Es lohnt sich aber auch für uns als Landesinstitut für Schule, weil wir von diesen Personen neue Anregungen erhalten, mit ihnen gemeinsam auf dem Weg sind und uns eben auch mit ihnen über Erfolg freuen – das steckt auch uns an. Die Menschen haben meist bereits einen längeren Weg hinter sich, eine Anerkennung ihrer Ausbildung zu erhalten, und wir können uns mitfreuen, wenn es gelingt.

Und die Schulen können hier neue Lehrkräfte gewinnen, sie können sich die Personen bereits während des Lehrgangs näher anschauen und überlegen, ob sie gut in das Team der Schule passen würden.

Auch die Schüler*innen profitieren enorm. Sie zeigen meist ein hohes Interesse an Menschen, die vielfältig aufgestellt sind und in der Lage sind, dies nutzbringend einzusetzen.

Welche Unterstützungsangebote oder Verbesserungen im Anerkennungsprozedere wünschen Sie sich noch für die internationalen Lehrkräfte?

Menschen, die eine Gleichstellung ihrer Ausbildung anstreben, können sich entscheiden zwischen einem Anpassungslehrgang und einer Eignungsprüfung. Ich würde persönlich immer zu dem Lehrgang raten, da man hier die Zeit und die Gelegenheit hat, sich mit der Vielfalt der Ansprüche in Schule intensiver zu befassen.

Eine Eignungsprüfung ist ein Hochsprung ohne Anlauf, praktisch aus dem Stand – und damit ein hohes Wagnis. Personen, die eine Eignungsprüfung wählen, müssen sich sehr sicher sein, die aktuelle bildungswissenschaftliche und fachdidaktische Diskussion zu kennen, sich im Bremischen Schulgesetz bewegen können und mit den Formaten der Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht sehr gut vertraut sein.

Meist wissen die Personen nicht wirklich, auf was sie sich einlassen. Hier würde ich mir wünschen, dass sie vor der Entscheidung nicht nur allgemeine, sondern auch fachliche Beratung in Anspruch nehmen könnten. Dafür bräuchten wir aber Ressourcen oder eine Stelle bzw. Institution, die dies begleitet.

Klar wird auch immer wieder, dass die „Anpasser*innen“ im Anpassungslehrgang insgesamt eine weitaus intensivere Begleitung und Beratung benötigen als Referendar*innen, einfach, weil sie sich meist in kürzerer Zeit auf dieselben Anforderungen einstellen müssen. Auch dafür würde ich mir mehr Raum und Ressource wünschen. Schon allein der organisatorische Aufwand ist erhöht, weil alle Leistungen innerhalb des berufspraktischen Anpassungslehrgangs im LIS verortet sind.

Die sprachliche Begleitung durch das Paritätische Bildungswerk ist eine enorme Hilfe, aber nicht alle „Anpasser*innen“ nehmen diese Unterstützung in der gewünschten Intensität wahr. Voraussetzung für die Aufnahme des Anpassungslehrgangs ist das Sprachniveau C1. Für eine feste Anstellung danach benötigen sie C2. Damit wird deutlich, dass die sprachlichen Kompetenzen noch nicht perfekt sein können, es aber gerade in der Schule sein müssen. Hier würde ich mir wünschen, dass sich alle „Anpasser*innen“ einer noch höheren Selbstverpflichtung zur sprachlichen Professionalisierung unterziehen.

Die „Anpasser*innen“ müssen keine Prüfung durchlaufen, sondern eine Unterrichtsstunde zeigen. Und das würde ich auf die Sprachprüfung übertragen. Das allgemeinsprachliche Goethe-Zertifikat zielt nicht auf eine besondere Berufsgruppe ab. Aber hier geht es darum, sich im berufssprachlichen Unterricht ausdrücken zu können.

Ich halte es für enorm hilfreich, wenn eine berufsbezogene Sprachprüfung stattfinden könnte. Diese könnte sehr gut über Szenarien installiert werden.

Die Menschen, die bisher bei uns die berufspraktische Anpassung gemacht haben, haben diese alle erfolgreich abgeschlossen. Nur eine Person hat aus eigenem Antrieb die Maßnahme abgebrochen.

Das ist eine enorme Leistung für die Menschen selbst und die Ausbilder*innen. Und da hat die Unterstützung durch das Paritätische Bildungswerk, die Szenarien und das IQ Netzwerk entscheidend zu beigetragen – wir im LIS haben in der Ausbildung keine Kapazitäten dafür. Wir müssten dafür einen entsprechenden Auftrag haben, eine sprachliche Begleitung umzusetzen. Die haben wir aber nicht. Und ohne die Unterstützung würden die Teilnehmenden es unendlich schwerer haben.

Liebe Frau Beckmann, besten Dank für das Gespräch! 

Ruth Beckmann ist Hauptseminarleiterin am Landesinstitut für Schule Bremen (LIS). Foto: privat

 

Sie möchten mehr über die Szenario-Methode erfahren?

Eva Raschke
Projektkoordination

Deutsch für Lehrkräfte aus aller Welt

Paritätisches Bildungswerk Bremen
Private Fachschule für Sozialpädagogik und Heilerziehungspflege

Telefon: 0421-17472-58
E-Mail: eraschke@pbwbremen.de

Bahnhofsplatz 14
28195 Bremen

www.pbwbremen.de

 

Zur Projektseite des Kurses “Deutsch für Lehrkräfte aus aller Welt”


Was sind das für Szenarien?

Hier gelangen Sie zum Lehrmaterial.

 


Lernen mit Szenarien eine internationale Lehrerin über ihren Berufseinstieg in den deutschen Schulbetrieb:

„Der Sprachkurs ist eine Schatzkiste für mich!“ 

 

Das Landesinstitut für Schule (LIS)

Das LIS ist Teil des Bremer Schulwesens und bietet den Bremer Schulen fachliche und pädagogische Unterstützung.

Dazu gehört neben der Ausbildung von Referendar*innen auch die berufliche Anpassung von Lehrkräften  mit ausländischen Berufsabschlüssen.

Es gehört zum Ressort der Bremer Senatorin für Kinder und Bildung.

Anerkennungsberatung Bremen
Beratung in der Arbeitnehmerkammer Bremen

Jan Jerzewski und Toni-Marie Evers

Telefon: 0421/36 30 1-954
E-Mail: anerkennung@wae.bremen.de

Bürgerstraße 1
28195 Bremen

Beratung im afz (Arbeitsförderungs-Zentrum im Lande Bremen GmbH)

Telefon: 0471/98 39 9-54
E-Mail: anerkennung@wae.bremen.de

Erich-Koch-Weser-Platz 1
27568 Bremerhaven

Zur Projektseite der Anerkennungsberatung